Form follows function… Schaftformen Vol.1

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Eleganter geht’s nicht : der klassische englische Schaft.
Seit mehr als hundert Jahren unverändert und immer noch begehrt.
Ja…?
Oder etwa nicht…?

Bevor jetzt gleich auf mich eingeprügelt wird: Ja er ist ja wunderschön…!!!
…Nur praktisch, is’ halt was anderes …

Aber zurück zum Anfang:
Die gerade Form des Schaftes ergab sich aus der Zeit und dem damaligen Herstellungsstandard.
Der gerade Schaft war schlicht gefragter bei der zahlungskräftigen Klientel.
Und die entschied nach „the looks of it “ und dem gesellschaftlichen „must have“
Als Ende des vorletzten Jahrhunderts die klassische englische Flinte aus den bestehenden Schaftformen entwickelt wurde, experimentierte man mit Zündsystemen,Verschlüssen und Schloßanordnungen.
Da hatte von Haptik und Design noch niemand was gehört.

Den wenigen, wirklich der Bewegung förderlich,“designten “ Schäfte wie der Greener-schaft ,war nur ein belächeltes Nischendasein vergönnt.

Das es notwendig war „von oben“ auf die Waffe zu greifen, um die Hähne zu spannen, betraf zunächst die Flintenspanner, nicht die schießenden Lords.
Die nahmen die Waffe quasi nur zum Abdrücken in die Hand.
Dass die Doppelabzüge der Seitenschlosse mit „gleitender Hand“ geschossen wurden, ist richtig , ebenso wie die Notwendigkeit des Seitenschlosses zur damaligen Zeit.
Sich auf nur einen Abzug/Schloß zu verlassen , war damals schlicht zu gewagt.
Massenschießereien, mit tausenden von Schüssen über den Herbst verteilt, waren eine gewaltige Belastung, der auch die Bestguns nachgeben mussten.

Einzig die frechen Kolonialisten im fernen Amerika waren da weiter und benutzten auch schon Flinten mit Pistolengriffen…aber eben nicht bei Gesellschaftjagden sondern um Muttern was in die Küche zu bringen. Sie trugen auch keine albernen Melonenhüte auf der Jagd und Brotzeit gabs am Lagerfeuer, anstatt per Kutsche das Nobelkatering mit britischem (HA!) Edelschmaus.

Bis zum Beginn des 1.Weltkrieges (dem Ende der großen Jagden in Europa) bejagte man auch nicht nur hochfliegende Fasane, auch wenn diese das Sahnehäubchen für viele Schützen waren. Auf dem Festland erquickte man sich z.B. mit dem groß angelegten Abknallen von Hasen .

Dass der gerade Schaft hier besser oder schlechter zu führen war, fiel damals keinem Flintenbauer als Verkaufsargument ein. Man baute Flinten ebenso konservativ, wie man auch bei Jagdkleidung und formalem Umgang, bei bewährtem ,sprich gesellschaftlich akzepteirtem blieb.
Vergessen wir nicht: damals gab’s auch noch kein „ Marketing“, dass Lösungen für Probleme bot, die keiner hatte.

Heute ist in England nichts viel anders bei sogn . formellen Jagden. Auch heute wird hier die DF mit geradem Schaft als understatement geführt.
Selbst heute kann auf solchen Jagden ein Fauxpas das gesellschaftliche Aus bedeuten…selbst wenn keine Yellopress, kein Königskind oder Busenwunder involviert sind.

Wir (als Kinder des Marketing) haben heute nachträglich so manche Theorie entwickelt, die dem geraden Schaft besondere Eigenschaften bescheinigt, die einzeln gesehen durchaus diskutabel, ja sogar richtig , sind, in toto aber eher dazu dienen können ,dem geliebten aber mißtrauischen Ehegesponst, die unglaublich notwendige Anschaffung einer neuen Waffe zu vermitteln.

Das die Flinten einfach wunderschön , geradezu einmalig elegant sind … und klassische Erhabenheit , treue Zuverlässigkeit mit charmantem Wesen verbinden…schlicht „so sind ,wie Du mein Herz „ 😉 …
..so zu argumentieren ist übrigens viel leichter, als mit sachlichen Argumenten die evtl. zerpflückt werden könnten…

Die Abkehr vom geraden Schaft, begann schon vor dem Erscheinen der ersten Bockflinten mit der Prince of Wales Form , einem Griff mit sehr moderatem Radius der noch elegant wirkte.Der Name kam erst viel später,die Form kennt jeder Westernfan.
Dennoch bot er ein wenig mehr Substanz als der „Besenstiel“ des Klassikers.
Preiwerte Flinten der Gamekeeper und besagte Koloniallisten bevorzugten qua Budget, derartig plebejisches Schießgerät.

Als die BDF auf dem Kontinent und die Pumpe in den USA, auf den Jagden und den Ständen die Querflinte immer mehr verdrängte, erkannten immer mehr Schützen die Vorteile der Pistolengriffe.
Die „modernen“ BDF schossen sich auch mit schwereren Patronen leichter, der erste Schuß wurde kaum noch wahrgenommen…die Hand fand bei den Pumpen in Amerika einen sicheren Waffenhalt, um den Repetiervorgang mit der Linken zu unterstützen.

Bitte nicht vergessen: Der Vorderschaft-Repetierer war damals in den USA keine Gangsterwaffe… es wurden sogar Medallien damit gewonnen.

Einer der so was machte, Medallien und Preise sammeln und große Firmen in Italien und Amerika beriet, war Rudy Etchen.
Er erkannte die Vorteile eines steilen Pistolengriffes und schuf den berühmten Rudy Etchengriff.
Bis heute hat dieser Griff bei italienischen Nobelherstellernn von Sportflinten seinen festen Platz, ebenso wie ein Bild mit Widmung von Rudy in keiner Chefetage fehlen darf.

Der steile Griff verhindert das unnatürliche Verdrehen des Handgelenkes und hilft somit einem unverkrampften Anschlag.
Weniger Kraftaufwand, bei besserer Kontrolle.

Genau hier liegt der grundsätzliche Unterschied zweier Denkschulen:
Der schlanke und gerade Flintenschaft der englischen Bestguns schuf einen eigenständigen Schießstil, der auch den Waffenbau beeinflusste.

Die klassische, englische Schiessmethodik basiert auf der Führung der Waffe/Schaftes zum Kopf OHNE dass der Kopf /Nacken stark zur Waffe geneigt werden sollte.
Hierzu braucht es schlanke Schäfte, deren moderate Pistolengriffradien die Hand (durch leichte Abwinkelung) zum Druck nach oben (Richtung Wangenknochen ) verleiten.

In Italien bevorzugte man immer den „Kuschelschaft“ bei der Sportwaffen.
Ein relativ massiver Schaft mit steilem Pistolengriff und viel Substanz am Schaftrücken.
Die Kopfneigung wurde nicht als schädlich angesehen , sondern wird mit diesen Schäften noch unterstützt…

Die Amerikaner konnten sich und wollten sich hierbei nicht entscheiden, was gut war, da sie von Flinten eigentlich eh nix verstehen und nehmen heute die Schaftformen die ihnen die großen Hersteller ins Regal stellen. Als geborene Scharfschützen kommen sie damit leicht zurecht und halten Senkung , Schränkung und Pitch ohnehin für etwas europäisch dekadentes…OK,ok… man lernt und erteilt Schießlehrern noch kein Einreiseverbot…

Die Parcoursschützen, quasi die legitimen Erben beider europäischer Denkschulen, versuchen beides ,mittels moderner Schießtechniken und den heute so beliebten „Sportingschäften“ zu verbinden.
Dies ist soweit gelungen, dass heutzutage Sportingschäfte die meistverkauften Schäfte für Jagd UND Sport geworden sind und sich als Standart international durchgesetzt haben.

Was heißt das für den Waffenkäufer?
Eine konsequent modern gestaltete Flinte verliert viel, bis alles, von der klassischen Eleganz.
Sie ermöglicht es dem Sportler den Durchschnitt hinter sich zu lassen und in die Spitzenklasse
vorzudringen.
Wie so was angenommen wird , dafür kann der Versuch einer großen Waffenschmiede Italiens Beweis sein:
Eine kompromisslose Trapflinte zu bauen (was andere vor ihnen auch schon mit gleichem Resultat , aber weniger Perfektion taten) war das Ziel.
Es entstand ein perfektes, halbautomatisches, fast rückstoßfreies Kipplaufgewehr mit dem äußerlichen Charme eines Krankenfahrstuhls.
Dennoch ist das Schießen und die fast schon maschinelle Vernichtung von Traptauben damit ein Genuss .
Die Waffe ist ein Meilenstein in der Geschichte des Waffenbaus…und keiner will sie haben…leider!!

Form follows function ! Doch Funktion ist nicht alles…

Seien wir ehrlich,… wir kaufen und schießen auch mit dem Herzen. Und da ist eben für so manche technisch perfekte Lösung kein Platz…denn der ist besetzt von der idealen Flinte, einer Schönheit ohnegleichen, mit Eleganz und Parnache…

…erzählen Sie das aber nicht Ihrer Frau.

Bunduki

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