Achsenmächte…noch mehr Winkelzüge

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„…Was ist schon dran, an so einer Flinte?
2 Rohre , nicht mal gezogen ,ein bisserl Holz und fertig…
Treffen damit?“

Na klar ,einfach drauf und BUM…is eh Schrot, dös trifft immer.“
Sollten Sie diesen Stand des Waffentechnischen Genies erreicht haben, sind die nachfolgenden Zeilen natürlich überflüssig und Sie sollten schnellsten an die Konstruktion einer Weltraumrakete denken.

Wenn das Licht des allwissenden Geistes Sie aber noch nicht erhellte und Sie, so wie wir alle, noch die kleinen Synapsen zündeln lassen müssen, dann fragen Sie sich wahrscheinlich auch ,wie so eine Flinte „tickt“.

Es ist so eine ganz „verwinkelte Sache“ mit der Flinte.
Sie besteht, um damit ein bewegliches Ziel zu treffen, aus einer Reihe ausgeklügelter Achsen.
Alle zusammen bewirken, dass man scheinbar spielerisch die Waffe heben kann, sie schwingt und das Ziel getroffen wird.

Sieht man sich eine BDF mal von der Seite und ein bischen Distanz an, fallen die Linien auf, welche die Form der Waffe beherrschen.
Egal ob die Waffe besonders eleganter Italienscher Provinienz ist, oder aus der rustikalen Taiga stammt… Linien ,Achsen und wenige Kurven.

Arbeiten alle Linien zusammen ?
JA !
Sind alle Linien/Achsen bei allen Flinten gleich?
NEIN ! Sonst wär’s zu einfach . 😉

Was bestimmt die Achsen der Flinte?
Erst die Physik dann:
… die Zielsetzung der Waffe ! Jagd- und Sportart,Körperbau des Schützen,aber auch Anschlagarten, Schußentfernungen, Munition und auch ein klein wenig Geschmack.

Nur ein kleine Prise Ästhetik ?
Ja, denn Waffenbauer sind eben an die Physik gebunden.
Das, was wir landläufig als elegante Linienführung bezeichnen, ist unser subjektiver, optischer Eindruck.
Seit vielen Generationen, ist es die Kunst der wahren Flintenbauer, eben diesen Eindruck zu erwecken und von den „schiefen“ Läufen und Schienen abzulenken.
Was es ihnen leichter macht, ist der Effekt der Perspektive, der auch unterstrichen wird durch die Tatsache, dass sich jede Flinte nach vorne verjüngt.
Genau wie die Säulenform in der Akropolis.

Sehen wir uns die wichtigsten Achsen näher an.

Zunächst die Suche nach der Grundlinie.
Als diese mag man die Laufachse bezeichnen
Da es aber eben auch zwei Laufachsen geben kann , halten wir uns an die Linie, aus der wir die meisten anderen Maße herleiten können:

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Die Schienenachse.
Die Linie,welche sich aus der Oberseite der Schiene ergibt, ist bekanntermaßen für die Schaftdaten notwendig.
Sie hat aber noch eine andere, grundlegende Aufgabe.

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Nach hinten über die Basküle und den Schaft verlängert, kann man aus ihr die Senkung an Schaftnase und Schaftkappe/Ende ermessen.
Die Senkung ist die Absenkung des Schaftes zur Schienenachse.
Diese Senkung ist bei der Produktion/der Herstellung der Waffe ein wichtiger Maßpunkt .
Mit der Erfahrung aus tausenden von Schäften und repräsentativen Maßen aus aller Welt, wird hierbei auch der Schaft auf den „universellen Musterschütze Europa“ oder den „Durchschnitzschützen USA“ hergestellt.
Viele Hersteller verlassen sich auf einige wenige Referenzdaten,welche sich nachden jeweilig geltenden Durchschittsgrößen der
Europäer,Amerikaner oder Asiaten richten.
Einige wenige fertigen für mehr als einen „Musterschützen“ und haben verschiedene Varianten im Angebot.

Aus dieser Absenkung ergibt sich eine Punkt auf dem Schaft, an dem unsere Wange platziert wird.
Erhöht über diesem Punkt (nennen wir ihn hier einfach „aktiver Senkungsbereich“ und „aktive Senkung“) und deutlich über der Schienenachse, ist auch unser Führungs-Auge positioniert.

Das Führauge blickt damit über der Schienenachse, und das Korn, auf das Ziel.
Somit haben wir eine neue Linie :
Dies ist die eigentliche Visierlinie!
Sie ist eine reine optische Achse, die sich ausschließlich mit dem Schützen vermessen lässt, da sie auch auf der Physiognomie und seiner Anschlagsart basiert.

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Die Senkung/en werden von der Schaftform beeinflusst.
Wie stark, zeigt dieses Bild :

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Zwei gleich lange Schäfte, für die gleiche Waffe.
Der eine Schaft, ein europäischer Jagdschaft, der vordere ein US Schaft zum Parcourschießen.
Bleibt der US Schaft zur Schienenachse parallel , fällt der europäische Schaft nach hinten ab.
Man sollte dabei verweisen, dass Parcours in den USA u.a. im Voranschlag geschossen wird und teilweise auch ein anderes Zielbild (weniger Schiene sehen) gelehrt wird.
Unabhängig davon welcher Schaft „besser“ ist (darauf wird in einem anderen Blog eingegangen),erkennen wir auch, das die Position der „aktiven Senkung“ unterschiedlich sein kann.

Die Länge des Schaftes ist ebenso wichtig .
Verlängert oder verkürzt sich der Schaft, würde damit auch die aktive Senkungsposition verändert, das Auge würde ausserhalb der idealen Visierlinie stehen.
Die Kopfposition müsste nachjustiert werden,wenn die Schaftlänge zwar dem Schützen entspricht ,er aber sein Auge nicht ohne Mühe in die ideale Visierlinie bringen kann.
Macht ein verstellbarer Schaftrücken da Sinn?
JA ,denn genau dafür ist er gedacht.
(auch das ein zukünftiges Flintenblogthema)

Die Senkungen zu verändern,was immer wieder (manchmal vorschnell*) empfohlen wird,heißt, den Schaft an die Anschlagsweise des Schützen anzupassen. Damit einen spezifischen „Hochschuß“ oder „Tiefschuß“ kreieren zu wollen,ist möglich,aber nicht unumstritten, da hier nur eine subjektive Veränderung stattfände.
*vorschnell dann :wenn abtrainierbare Anschlagsfehler mit einer Veränderung der Senkung ausgeglichen werden sollen.

Also wissen wir nun, welche Linen dazu da sind, dass WIR mit der Waffe die Zielverfolgung durchführen und den Treffervorgang überhaupt visualisieren können.

Aber warum trifft das Gewehr selbst sein Ziel.

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Die Zwei Läufe sind u.a. mittels ihrer Mittelschiene so zueinander geordnet, dass sich ihre Laufachsen auf eine bestimmte vorgegebenen Entfernung überschneiden.

Dies ist notwendig, damit zwei Läufe ein Ziel gleich beschießen können.

Wie weit und wie nah sich die Läufe am Lager sind und an der Mündung kommen, ist natürlich von Hersteller, Waffe, Kaliber und Bauweise abhängig.
Die Zahlen im Bild sind keine Normzahlen, sondern nur Beispiele ,welche die Verjüngung demonstrieren sollen.

Erreicht werden sollen Treffer (überschneidende Deckungen) beider Läufe, auf einem Punkt.

Dieser „Point of Impact“, muss nun aber mit der Visierline des Schützen korrespondieren.

Kann man über die Senkung die Position des Zielauges variieren, kann man mit dieser Veränderung auch die Trefferlage „subjektiv“ ( nach Wünschen und Notwendigkeiten des Schützen) eingeschränkt verändern.

Eine „objektive“ Trefferlage , also die Lage des „ point of impact“ ist aber nur durch das/den Verhältnis/Winkel von Schieneachse zur Laufachse, erreichbar.
Erst mit der Berücksichtigung dieser Trefferlage (> des Laufbündels) ist die optimale Ausnutzung der Flinte in ihrer Gesamtheit möglich!

Der „point of impact“ ergibt sich aus der Verlängerung der Schienenachse in den Zielbereich.
Er wird in % angegeben .
z.B 60 : 40 heißt, dass 60 % der Garbe überhalb der Schienenachse platziert werden.
Diese Angaben sind nicht mit den % Zahlen zu verwechseln,welche die Verteilung der Schrote (z.B. auf einer 16teilerAnschuß- Scheibe) beschreiben !

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Jede Verwendungsart einer Flinte hat spezifische Vorgaben die sich z.B aus der Entfernung des zu beschießenden Zieles ergeben.

Eine Jagdflinte, wie eine Parcoursflinte wird auf viele unterschiedliche Ziele verwandt.
Ein „eingebauter Hochschuߓ wäre in vielen Fällen fatal.
Deswegen setzen viele Hersteller auf eine neutrale Ausrichtung ihrer Waffen,die von Jägern und Schützen als Universalflinten gekauft werde.

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Ein american Trapschütze schießt auf weite Distanz, mit kurzen präzisen Bewegungen.
Mit einem „point of impact“, der weit über dem einer Jagdflinte liegt, kann er seine Tauben auch noch in den Handicap-positionen treffen.

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Deswegen werden in einigen Sportarten hohe Schienen benutzt , die teilweise sogar verstellbar sind und je nach Handikap(Entfernung) den „point of impact“ zum Anschlag egalisieren.

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Diese hohen Schiene ,die erhöhte Trefferfläche, finden auch bei Trap- und Doppeltrapschützen immer mehr Freunde , obwohl der „point of impact“ nicht so radikal erhöht ist, wie beim american Trap (bis zu 120%+).

Winkel , Achsen, Linien… und kein Wort über alte Weisheiten wie :
„Der Lauf schießt und der Schaft trifft!“
oder
„Nachts is kälter als draußen!“
oder
„ wenn man drauf is ,is man drauf “

Vielleicht ist Flintenschießen nicht so einfach, wie es sich die Hüter alter dampfgeplauderter Weisheitsplagiata wünschen…
Und vielleicht ist Flintenschießen nicht ganz so kompliziert, wie sich einige kommerzielle Nebelwerfer es gerne erscheinen lassen wollen…

Vielleicht ist Flintenschießen einfach eine Tätigkeit, die Ernsthaftigkeit erfordert…

Bunduki


PS:

Aber jaa! Da fehlt natürlich noch was…
…. Schränkung und Pitch,Winkel und Längen der Übergangskonen,Innengeometrie der Läufe,Lager und Chokes…
und Sonderfälle mit Krüppelschäften,optischen Visierungen usw,usw…
Holzdichte und Gewichtung,internen Schwingungstransport im Holz und die ganz normalen Schwingungen des Laufes….und der Schiene und der Zwischenschiene…und Doppelflinten, Drillinge und Einlaufflinten, sphärische und asphärische Kurven im Chokebereich…Hitzeableitungen,und Kräfte und Achsen, das es eine wahre Freude ist…

Wer hat gesagt, dass Flinten einfache Apparate sind?

to be continued…. 😉

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